„Die TelefonSeelsorge bildet einen wichtigen Beitrag der beiden großen Kirchen für die Gesellschaft“, verdeutlicht Dr. Dorit Felsch. Die Pfarrerin leitet die Evangelische Telefonseelsorge Köln. Gemeinsam mit Annelie Bracke, Leiterin der Katholischen Telefonseelsorge Köln, nahm sie zuletzt das Tätigkeitsjahr 2021 und aktuelle Entwicklungen in den Blick. „Wir kooperieren sehr gut miteinander“, sagt Bracke: Beide Kölner Stellen arbeiteten harmonisch im Verbund. „Wir waren im letzten Jahr eine der Säulen der psychosozialen Grundversorgung“, weisen beide unter anderem auf den pandemiebedingten deutlichen Anstieg von Ängsten hin.

Die Kölner TelefonSeelsorge-Einrichtungen sind 365 Tage im Jahr rund um die Uhr unter 08001110111 und 08001110222 zu erreichen, kostenfrei auch aus dem Mobilfunknetz. Zwar seien die Rufnummern laut Bracke bundesweit einheitlich. Den beiden Kölner Stellen würden aber die Anrufe aus der Region Köln/Bergisches Land vermittelt. Das bedeute ein Einzugsgebiet mit über drei Millionen Menschen. Schon jetzt biete die evangelische Stelle in Köln zusätzlich einen Seelsorge-Kontakt und -Austausch per E-Mail an, so Felsch. Das katholische Pendant in Köln offeriert ab der zweiten Jahreshälfte zudem die Möglichkeit, per Chat zu kommunizieren. „Wir bringen uns ein in den Pool auf Bundesebene“, sagt Bracke.

Das Angebot der TelefonSeelsorge stehe jedem Menschen offen, betonen die Leiterinnen. Völlig egal, ob man einer Konfession angehört oder nicht, ob man jünger oder älter ist. Wer in welcher Lebenssituation, wer mit welchen Problemen und Sorgen auch immer eine(n) Gesprächspartner*in suche, treffe bei der TelefonSeelsorge auf offene Ohren. „Über Ängste sprechen hilft“, ermutigt Felsch Betroffene. „Gespräche nehmen etwas von der kompletten Ohnmacht.“ Selbstverständlich seien die Gespräche und Beratungen absolut vertraulich. „Anonyme Nähe“ laute das Schlagwort dafür. 90 Ehrenamtliche zählt derzeit die Evangelische Einrichtung, 63 die katholische. Diese sind rund 15 Stunden wöchentlich im Einsatz. Ein zeitlicher Aufwand, der regelmäßige Supervisionen (Begleitung/Beratung) und Fortbildungen einschließt.

Der Bedarf ist hoch

2021 führten die Mitarbeitenden der beiden Kölner Stellen insgesamt 26.000 Gespräche. Das ergebe täglich circa siebzig, rechnet Felsch. Dabei dauere jedes Gespräch circa zwanzig Minuten. „Der Bedarf ist jedoch weit höher. Es gibt mehr Anrufe als wir annehmen können“, weisen Bracke und Felsch auf die unveränderte Notwendigkeit eines solchen Angebotes hin. Um die Erreichbarkeit weiter zu verbessern, würden schon jetzt mache Schichten doppelt besetzt. „Und wir sind daran interessiert, dies deutlich zu erweitern.“

Zwei Drittel der ehrenamtlichen Mitarbeitenden der Evangelischen TelefonSeelsorge sind weiblich, ein Drittel männlich. In der Katholischen Stelle engagieren sich zu einem Viertel Männer. Trotz des weiblichen Übergewichts eigneten sich für diese Aufgabe selbstverständlich und erwiesenermaßen ebenso Männer, appellierten beiden Leiterinnen. Zwar entfalle ein starker Anteil der Ehrenamtlichen auf Menschen, die in Pension gegangen seien und nun eine neue Aufgabe suchten, so Felsch. Aber die Altersstruktur verändere sich gerade. Zunehmend meldeten sich zwecks Mitarbeit auch jüngere Menschen, die mitten im Berufsleben stünden. „Wir sind breit aufgestellt und freuen uns über eine noch größere Bandbreite“, so die Pfarrerin. Bracke bestätigt das. Und sie nennt drei wesentliche Erwartungen an die Mitarbeitenden: Offenheit gegenüber Menschen, sprachliche Ausdrucksfähigkeit und persönlich stabil sein. Von großer Bedeutung sei, ergänzt Felsch, dass die Ehrenamtlichen sich in Gesprächen mit Betroffenen solidarisch zeigten.

Laut Statistik machten 2021 die zentralen Themen „Depressive Stimmung“ 19 Prozent, „Ängste“ 17 Prozent und „Einsamkeit“ ebenfalls 17 Prozent der Gesamtgespräche aus. Zu den aktuellen Themen in den Telefonaten zählten weiterhin Corona und neu der Krieg in der Ukraine. Allein zwanzig Prozent der Gespräche drehten sich um das anhaltende Kriegsgeschehen, so Bracke. Zum Thema „Corona“ nannte sie schwankende Werte: Danach drehte sich im Januar und August 2021 in jeweils zwanzig Prozent der Kontakte das Gespräch um die Pandemie. Für August 2022 (5%) und Januar 2022 (11%) berichtete sie abgeschwächte Zahlen.

Zunahme von Vereinsamung, Bedrückung, Niedergeschlagenheit

„Depressive Stimmung und Ängste gehören immer zu den Hauptthemen. Aber alles, was ohnehin angelegt war, ist durch Corona verstärkt worden“, erklärt Felsch. Corona habe vorhandene schwierige Lebenslagen verschärft, bekräftigt Bracke. Vereinsamung, Bedrückung, Niedergeschlagenheit hätten zugenommen. Bestehende Spannungen in Familien und Partnerschaften hätten sich verschlimmert und neue Probleme bis zur Existenzbedrohung sich entwickelt. Angehörige pflegender Berufe beispielsweise hätten von ihrem „großen Stress“ und ihrer Überforderung erzählt, so Bracke. In der Pandemie seien auch deutlich mehr Anrufe von Schüler und Schülerinnen und Studenten und Studentinnen eingegangen.

Krieg in der Ukraine

Der Krieg in der Ukraine löse existenzielle Gedanken und tiefe Ängste ebenso hierzulande aus, so Felsch. Beispielsweise träten bei über Achtzigjährigen Kindheitserinnerungen an Aufenthalte in Luftschutzbunkern auf. Aber auch junge Menschen ohne Kriegserfahrung äußerten ihre Ängste vor einer Ausweitung der Kämpfe. Zahlreiche Anrufende sorgten sich um Angehörige in der Ukraine. Hier lebende Russischstämmige erführen sogar massive Anfeindungen. „Es ist die ganze Bandbreite an Nöten“, stellt Felsch fest. An den aktuell deutlich erhöhten Prozentzahlen bei den Themen „Depressive Stimmung“ (22 %) und „Ängste“ (38%) könne man ablesen, wie sehr die Kriegssituation im Osten Anrufende seelisch belaste. „38 Prozent Gespräche zum Thema ´Ängste´ hatten wir noch nie in unserer Stadt“, sagt Bracke.

Von den Themen Pandemie und Krieg seien unsere Mitarbeitenden genauso betroffen, so Bracke. Überhaupt sei es elementar, dass Leitende und Mitarbeitende miteinander über ihre Erfahrungen sprächen. Deshalb fänden regelmäßig Gruppentreffen statt. „Es ist total wichtig, zu schauen, darüber zu reden, was es mit einem selbst macht“, betont Bracke den inneren gemeinschaftlichen Austausch. Dabei habe sich gezeigt, dass „unsere Mitarbeitenden es toll fanden, dass sie etwas tun konnten, mit Menschen etwas auszuhalten, gemeinsam da zu sein für andere, das macht Mut“. Flesch spricht von der Motivation bei den Mitarbeitenden, von deren Gefühl, etwas Sinnhaftes für andere tun zu können. „Das stärkt unsere Mitarbeitenden selbst.“

Suche nach ehrenamtlichen Mitarbeitenden

Derzeit sucht die TelefonSeelsorge weitere ehrenamtliche Mitarbeitende. Beide Kölner Stellen beginnen nach den Sommerferien mit je einem zwölfmonatigen Ausbildungskurs. Bewerbungen werden schon jetzt erbeten. Das Mindestalter beträgt 25 Jahre. Interessierte kontaktieren bitte per E-Mail die Evangelische TelefonSeelsorge Köln (www.ev-telefonseelsorge-koeln.de): telefonseelsorge.kirche-koeln@ekir.de oder die Katholische TelefonSeelsorge Köln (www.telefonseelsorge-koeln.de): mail@telefonseelsorge-koeln.de.

„Wir freuen uns auch sehr über Anmeldungen von Menschen, die krisenerfahren sind“, sagt Felsch. Denn die persönliche Erfahrung und erfolgreiche Krisenbewältigung helfe im Umgang mit anderen Betroffenen. Einen umfangreichen Teil der Ausbildung nehme die Selbstwahrnehmung und Selbstbetrachtung ein, so Bracke. „Bei sich selbst zu schauen“, nannte sie den wichtigsten Aspekt. Es gehe darum, die eigenen Grenzen und Ängste zu (er)kennen. Vermittelt würden zudem Gesprächstechniken und Methoden für den fachlichen Umgang mit Ängsten.

Offenheit, Verbindlichkeit und Zuverlässigkeit

Es gehe darum zu lernen, sich auf unterschiedlichste Menschen einlassen zu können, so Felsch. Eine Offenheit zu zeigen für Menschen mit ganz verschiedenen Hintergründen. „Diese Aufgabe erfordert Verbindlichkeit und Zuverlässigkeit“, verdeutlicht die Pfarrerin noch einmal die auch zeitliche Herausforderung: Zu den regelmäßigen Telefondiensten, zu denen ebenso Nachtschichten gehörten, kämen hinzu regelmäßige Supervisionen und Fortbildungen. Nicht selten, teilt sie eine Erfahrung hinsichtlich des guten Lern- und Arbeitsklimas in den Stellen mit, stifteten die gemeinsame Ausbildung und folgende Tätigkeit anhaltende Bekanntschaften und Freundschaften.

Drei Säulen prägten und trügen die TelefonSeelsorge, fasst Bracke grundsätzlich zusammen: Erstens die Fachlichkeit. Sie werde durch die Grundausbildung, regelmäßige Supervisionen und Fortbildungen erreicht. Zweitens die Gemeinschaft – „wir lachen auch zusammen.“ Und drittens die Spiritualität: „Wir schauen, wo unsere Wurzeln sind.“ Tatsächlich würden die spirituellen Angebote von den Mitarbeitenden der beiden Stellen sehr gut angenommen.